Gestern schrieb ich von der Ameisenplage. Sie haben es doch in großer Zahl in’s Zelt geschafft, ließen mich aber im wesentlichen in Ruhe. Das Meer wurde immer ruhiger und machte die ulkigsten Geräusche, so daß ich manchmal dachte, da draußen läuft einer herum. Vielleicht waren es auch Tiere. Ich hatte verschiedene Losungen herumliegen sehen. Ich stand so günstig daß ich ab und zu mal aus dem Zelt gucken konnte, wie der Stand der Sonne ist. Das ist natürlich Luxus.
Morgens um 7 trieb sie mich schon aus dem Bett, denn dann wurde es warm im Zelt. Das ist auch gut so, denn es muß ja trocknen. Mein Windshield diente nun immerhin noch als Schattenspender. Das Kaffeekochen verkniff ich mir, denn das ging alles von meiner Wasserration ab, und Kaffeetrinker brauchen ja dann tendenziell nochmal mehr Wasser.
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Am Vorabend hatte ich eine alte Gemüsekiste mit vielen Löchern gefunden, die nahm ich als Sitzplatz, da kamen die Ameisen nicht soooo schnell voran. Ansonsten finden sie sich mit einer fremden Besatzung nicht so einfach ab und versuchen alles zu erobern, zu untersuchen und zu besetzen. Ich hatte natürlich einige getötet, das aber ist eigentlich keine gute Idee, denn sie versuchen ihre Toten trotz widrigster Bedingungen abzutransportieren und werden immer noch mehr.
Nach dem Frühstück wollte ich noch meinen Bericht vom Vortag schreiben, aber die neu gewonnene Internetfreiheit (Roaming ist innerhalb der EU Geschichte) bringt mir nichts, weil das Netz nach ein-zwei Aktivitäten zusammenklappt. Es zeigt dann nur noch „Notruf“ an und baut sich nach ein paar Minuten wieder auf, um kurz danach erneut zu kollabieren. Vielleicht haben die Provider keine Lust mehr, meine Daten durchzuleiten weil sie nichts mehr dran verdienen. Na, wie auch immer, ich packe alles ein, schüttele die Ameisen ab und laufe los. Der Strand hier ist ideal – größtenteils auch zum Laufen mit Wagen.
Ich holte irgendwann zwei Wanderer ein. Zwei junge Letten aus Riga, die in Ventspils gestartet sind, die ich am Vortag hatte vorüber ziehen sehen und angesprochen hatte. Sie waren nicht gut drauf. Es ist ihre erste lange Tour und sie haben Blasen, tragen schwer an ihrem Gepäck, hatten letzte Nacht schlecht geschlafen. Ich überholte sie dann, um endlich nach 14 km einen Campingplatz in Mikeltornis mit dem letzten Wasser zu erreichen. Ich erhoffte mir vielleicht auch eine kleine Bar / Kafenica auf dem Campingplatz. Leider war der Besitzer nicht da, aber immerhin gab es Trinkwasser, Yeahh! 5 Liter = 1€.
Auf dem Platz trafen aus der anderen Richtung gerade Helga und Kay-Uwe ein. Ein Radlerpaar aus Sachsen, die sehr erfahren im Wandern und Radwandern sind. Auch diesmal machen sie eine sehr lange Tour von Tallinn über den Peipussee, quer durch Estland und Lettland nach Riga, dann die Küste hoch und wieder runter bis Klaipeda in nur drei Wochen! Wir teilten uns das Wasser, die beiden hatten Kaffee und ich den passenden Kocher. Es war sehr kurzweilig und unterhaltsam.
Wir tauschten uns aus, guckten auf die Karte und die beiden wußten: der nächste und einzige Laden ist erst in Marzibe, 23km weiter. Anstatt auf diesem Campingplatz zu bleiben mit der Aussicht, abends beim Wirt sogar ein Bier zu bekommen, lief ich los in Richtung Marzibe. Erst noch kurz zum schön renovierten Leuchtturm, aber der ist leider nicht zugänglich.
Ich traf die beiden Letten wieder, die am Campingplatz vorbeigezogen waren. Sie wollten dort erst nicht bleiben, aber jetzt kamen sie zurück Richtung Mikeltornis. Ich glaube, sie mußten aufgeben. Noch ein weiterer Wanderer aus Riga kam mir auf der Landstraße entgegen. „You are scaring me“ sagte er. Meine Silhoutte „Läufer mit zwei Rädern “ gab ihm in der tiefstehenden Sonne Rätsel auf. Er war auch schon ganz schön fertig, ich schickte ihn nach Mikeltornis.
Mir selbst ging es dagegen ganz gut, dabei hatte ich die Wespen überstanden! Die Wespen waren heute die Tiere des Tages. Seit ich auf der Landstraße parallel zum Meer lief, verfolgten und umkreisten sie mich. Durch den Schatten der Sonne auf dem Asphalt vor mir waren es nochmal doppelt so viele, bestimmt über 20! Einige richtig große Brummer dabei, die schon Richtung Hornisse gingen. Solange ich lief, hatte ich den Eindruck, ich reize sie. Wenn ich ging, begannen sie, sich auf mir abzusetzen. Und nun? Ich mußte ruhig bleiben, hatte aber schon einen gewissen Adrenalinspiegel über einige Kilometer. Dann kam der Fluß Irbe, und was ich gehofft hatte, trat ein: sie mußten zurück nachhause, ihre Gebietsgrenze war der Fluß. Uff, Gottseidank.
Nach dem Fluß kamen neue Wespen aber nicht mehr soviele und die verflüchtigten sich irgendwann.
Letztes aber sehr beeindruckendes Problem: Die Achillessehne schmerzt. Auahauaha! Mir fällt die alte Läuferregel ein: wenn’s zu Anfang schmerzt und beim laufen weggeht, ist’s nix schlimmes, wenn’s beim Laufen nach und nach kommt, ist’s was ernstes. Offenbar hab ich es übertrieben und nicht genug gedehnt. Da wo ich bin, kann ich nicht bleiben; ich gehe dann nur noch, wechsele die Schuhe und prolongiere damit den Zustand etwas.
Aber Ignoranz ist irgendwann auch keine Lösung mehr. Mit Mühe erreiche ich das Museumdorf Sikrags. Es steht unter „Naturschutz“, wie die ganze Ggend hier.

Auch hier keinerlei Unterkunft oder Laden. Am Strand gehe ich noch ein paar hundert Meter und lasse mich nieder.
Nach ausführlichem Dehnen und Selbstmassage beruhige ich mich: Wird schon nicht so schlimm sein, ein Warnschuss vielmehr, den ich ernst nehmen muß. Morgen nur 8 km gehen bis zum Laden in Marzibe. Und eben zwei drei Tage schonen, nur wandern! Soll auch schön sein.
Ich genieße den Strand und das Meer, habe inzwischen Routine in Platzwahl, Aufbau und Kochen. Heute viel weiter vorne im weißen Sand, da sind fast keine Ameisen, kaum Mücken und keine Wespen. Der Schatten im Vordergrund ist ein kieloben liegendes Ruderboot, das nehme ich zum Abstützen beim dehnen.

Internet weiter sehr schlecht. Der Sonnenuntergang ist toll, ich fotografiere aus dem Zelt heraus. Es ist ein wirkliches Abenteuer!

Mein Tacho hat heute Aussetzer, angeblich keine Sateliten in der Nähe (Hallo?) ; es waren mindestens 35, eigentlich 37 km, aber das ist jetzt auch egal. Was sind 7km bei 2000?
