Einmal im Leben den New York Marathon zu laufen, ist für viele Läufer:innen ein Traum. Ich durfte ihn mir erfüllen und bin sehr froh darüber.

Durch die Qualifizierung mit meinem persönlichen Rekord mit 3:14:59 in Florenz im November 2019 hatte ich mir eine gute Chance auf eine Startnummer gesichert. Das Limit in meiner Altersklasse M55-59 lag bei 3:17:00. so eine Chance bekommt man wohl nur einmal im Leben.

Als ich Mitte Februar 2020 den Bescheid bekam „You are in!“ war eigentlich alles klar. Was dann folgte, weiß jeder und war es erst jetzt soweit, das Startticket wirklich zu nutzen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der früher alles ablief, ist bei mir dahin und so hoffte ich einfach nur, daß nicht doch noch irgend etwas dazwischen käme, bis ich an der Startlinie in Staten Island auf der Verrazano-Narrows-Bridge stünde.

Aber es ging alles glatt, Der zum dritten Mal umgebuchte Flug, die Einreiseformalitäten, Anmeldung auf der Marathonmesse, Hotel usw. Durch meine Qualifikation konnte ich individuell reisen (Sonst Gruppenreise mit einem Bundle-Erwerb der Startnummer über ein Reisebüro) und ich hatte eine der vorderen Nummern mit einem frühen Start schon 9:10. Die gekauften Plätze werden viel weiter hinten vergeben und deren Startzeit zieht sich bis 11:30 hin. Wenn ich nun wesentlich langsamer liefe, und davon konnte ich definitiv ausgehen, würde ich trotzdem noch um die Mittagszeit ankommen, etwas der Wärme entgehen und mit anderen gut gelaunten Finishern feiern, statt mit den hinteren Rängen, die sich mit letzter Kraft ins Ziel gequält hatten.
So ein Massenveranstaltung mit 50.000 Athleten beginnt sehr früh, bei mir mit einem der ersten Midtown-Busse an der Public Library / Bryant Park an der 42. Straße um 5:00 am.

Das ist ein erhebendes Gefühl, wenn sie wegen einem die 5th Avenue sperren. Ich hatte noch nicht gefrühstückt, aber zwei Muffins und natürlich eine Reihe von unerlässlichen, aus meinen 14 Marathons erfahrenen Dingen dabei, die ich dann im Athletenvillage an der Brücke zurück lassen mußte: Pullover und aufgeschnittener Müllsack gegen die morgendliche Kälte, kleine Flasche Wasser, kleine Flasche Eiweißdrink, Lageplan und eben die Muffins und zwei Honigwaffeln (Stinger).
Anders als landläufig eß ich nicht am Vorabend den größten Berg Nudeln sondern am Vorvorabend. Am Vorabend gar nicht mehr so viel. Der Körper hat schon alles und auch das viele Wasser soll man besser bis zwei Tage vorher trinken, dann sind die Zellen gut versorgt. Der letzte Tag sollte so normal wie möglich ablaufen.
Normal in New York geht natürlich nicht. Wir hatten gleich am Donnerstag begonnen, neben der Marathonmesse auch die ganze Stadt zu Fuß zu durchstreifen. Ebenso am Freitag und am Samstag war es draußen am Strand von Rockaway Beach auch nicht viel weniger. Wir wandern immer soviel durch die Städte und hatten so nun vor dem Lauf schon 45 km weg. Das ist vielleicht nicht vernünftig, aber wie anders soll man eine Stadt kennen lernen, wenn nicht zu Fuß? Manhattan kannten wir schon vorher ganz gut, die five boroughs nur etwas. Aber einmal Times sqare mußte auch sein.

Um nicht hundert mal an Kontrollpunkten den Pullover hoch rollen zu müssen, machte ich wieder meinen Boston Trick: Ein Loch auf der Höhe der Startnummer hinein schneiden.

Wir wurden vor und nach dem Bus mehrfach kontrolliert und dann hatten wir im Athlets village ganz viel Zeit. Ich hatte mich nach den Angaben gerichtet, daß die Fahrt 90 min dauerte, was ich mir eigentlich auch nicht erklären konnte und auch nicht zutraf. Denn schon 5:50 war ich an Ort und Stelle, wo es dann frühestens 8:10 weiter ging mit der Öffnung der Start-Corrals. So ließ ich mir die Dunkin-Donuts Mütze schenken, zog den Müllsack über und machte es mir auf einer Kartonpappe bequem. Dann wurde es hell, die Sonne kam langsam und trocknete den Asphalt. Alle paar Minuten gab es die selben Ansagen, wann wer wohin gehen sollte und worauf zu achten sei. Lange Zeit waren mehr freiwillige Helfer als Athleten auf dem Gelände, was ich für übertrieben hielt.

Ab 8:30 gab es schon die ersten Starts für Handbiker, Läufer:innen mit Handicaps und um 9:00 für die Eliteläufer jeweils mit der live gesungenen Nationalhymne, einem lauten Kanonenschlag, gefolgt von Frank Sinatras „New York“. 9:10 waren wir dran, und weil es so einen Art Hauptstart der ersten Welle war, sprachen auch der Bürgermeister, die Renndirektorin und der Manager des Veranstalters , es flog eine Staffel Polizeihubschrauber dicht über uns hinweg und auf dem Hudson ließ das Fire Department mit dem Löschboot aus allen Rohren Fontänen ab. Alles für uns, das war schon geil. Die Stimmung war großartig und anders als erwartet, lief unser Corral nicht oben auf der Brücke, wie die anderen, sondern im unteren Stockwerk. Das war eigentlich ganz gut, weil wir so noch die zwei Meilen im Schatten liefen. Die Sonne brutzelte schon. Auf einer Spur fuhren immer wieder Harleys oder Streifenwagen der Polizei vorbei und hupten und jaulten und winkten.

Direkt nach der Brücke schwenkten wir nach Brooklyn ein und wurden von einer begeisterten Menge empfangen, was sich mit Ausnahme der Brücken auch bis zum Ziel durchzog. Es gab kaum einen Abschnitt, wo nicht frenetisch gejubelt wurde. Das hätte ich so nicht erwartet. Manchmal dachte ich, die meinen jemanden anderes , aber nein, sie meinten mich und brüllten stundenlang alles heraus, schwenkten Fahnen, bliesen ins Horn, Kapellen und Bands spielten, Chöre sangen, Pastoren predigten, Polizisten lächelten. Es war stimmungsmäßig der krasseste meiner 14 Marathons und einfach nur unglaublich! Leider konnte ich das nicht adäquat fotografieren.

Meine Verfassung war gut und ich beteiligte mich lange an der Party, klatschte tausend Hände ab, jubelte, reckte die Faust. Aber ich wollte dann auch Energie sparen und brauchte eine Pause von den Adrenalinschüben. So lief ich ab km 20 mehr in der Mitte und schaltete auf „Innenmodus“. Den brauchte ich auch für den langen Anstieg auf die Queensboro Bridge, der viele zweifeln ließ. Ich hatte im Fernsehen gesehen, daß genau hier die Eliteläufer das Tempo beim 24 verschärften, und die Konkurrenz dann nicht mitziehen konnte.
Ich war selbst schon 2016 zwei Mal über diese Brücke gelaufen. Damals hatten wir unser Hotel in Queens und ich lief rüber zum Central Park und dann über die Triboro Bridge im Norden zurück. Daher kannte ich diese Steigung. Und natürlich von meinen Läufen in der Wahlheimat Hunsrück.
Runter von der Brücke kam das schwerste Stück des Rennens für mich: 7 km schnurgerade aus auf der 1st Avenue in den Norden und dann über die Willi AV. Bridge in die Bronx. Ich war schon weit vor km 30 fix und fertig und wußte, daß dann ein Marathon erst beginnt. Ich baute an den Getränkestationen Gehpausen ein und zog meine Kohlehydrat-Gels etwas vor. Auf Iso verzichtete ich, denn die schlügen mir auf den Magen. Ich goß Unmengen Wasser über den Kopf, weil der immer zuerst aufheizte. Deshalb holte ich auch mein gut verstautes Handy nicht heraus. Das wäre sonst wegen Nässe im Eimer.

Irgendwie brachte ich dieses Elend Lange Stück hinter mich, auf dem es auch immer auf und ab ging. Es sind nur leichte Steigungen und Gefälle, aber bei einem Marathon fühlen sich schon leichte Steigungen wie Berge an. In der Bronx und dann über die wirklich letzte Brücke nach Haarlem liefen wir immer wieder Kurven und es wurde abwechslungsreicher.
Die letzten 7 km würde ich nun auch noch schaffen, da war ich mir sicher, aber natürlich beginnt da auch immer eine gewisse Qual. Das letzte Stück ist vor allem auch Kopfsache. Sogar 50km und mehr könnte man dann noch laufen, wenn man dazu bereit wäre. Immerhin habe ich auch schon Ultraläufe absolviert, eben als ich dazu noch bereit war.
Ich bin nicht so gut trainiert wie sonst, hatte mit dem Rennrad fahren angefangen, (immerhin 4000 km dieses Jahr), zwischendurch auch Corona und andere kleinere Handicaps. Die Sommerhitze tat ihr Übriges. Auch war mir zeitweise die pünktliche Fertigstellung meines neuen Buches wichtiger, als öfter Laufen zu gehen. Es erscheint am 1. Dezember und kann jetzt noch vergünstigt vorbestellt werden auf http://ampelpublishing.de

So erwartete ich eine Zeit von über 4 Stunden und die wurden es dann auch. Viele andere Läufer gaben auf oder ich überholte sie trotz meines Schneckentempos. Es sollte mein langsamster Marathon werden, aber das spielte keine Rolle.
Irgendwann verschwenkten wir von der 5th Avenue in den Central Park und dann war es nicht mehr allzuweit. Ich wurde nicht mehr langsamer und konnte wieder längere Stücke laufen. Das Ziel war natürlich eine Erlösung und ein starker Glücksmoment. Ich hatte es mal wieder geschafft, trotz widrigster Umstände, einen Marathon zu laufen, und was für einen!

Es gibt eigentlich keine schönen Bilder von verschwitzen Läufern im Ziel, aber ich stellte mich bereitwillig den Fotografen und posierte für mein Selfie, um den eigenen Zustand festzuhalten .

Nach dem Zieleinlauf muß man sehr weit gehen, um den vorher deponierten Beutel abzuholen. Es gibt hier keine Duschen oder Umkleiden, was bei warmem Wetter nicht so problematisch ist, aber auch nicht schön. So war es auch in Boston 2015. da fror ich so erbärmlich, daß ich mich in einer schmuddeligen Ecke auf dem U-Bahnsteig umzog. Hier bekamen wir einen warmen Poncho und es war auszuhalten.

Ich drängelte mich dann durch die Zuschauer und stoppte mit der Metro nochmal für die Reservierung bei einem Steakhouse, um dann zum Hotel zu fahren. Die viele Geherei nach dem Laufen hatte natürlich ihr gutes: es war eine erste Regenerationsmaßnahme.

Es war ein wirklich beeindruckender Marathon, weil die Menschen hier beeindruckend sind: ungefiltert, ungebremst, begeisterungsfähig und ansteckend. Sehr sehr schön, daß es so etwas gibt in unserer Welt!

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Hallo Guido, ich bin begeistert, tolle Leistung. Freue mich, dass ich dich kenne, auch wenn wir uns sooo lange nicht gesehen haben.
Mit großem Interesse habe ich auch deine Bücher über deine Reisen in Transkaukasien und am Atlantik entlang gelesen. Du nimmst deinen Leser mit…ich spüre die Reise. Alles Gute für dich weiterhin. Liebe Grüsse Bärbel
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Vielen Dank, liebe Bärbel , ich freu mich echt, daß Du Dich so interessierst. Herzlicher Gruß, Guido
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